Navigation auf uzh.ch
Es zählt zu den grundlegenden Zielsetzungen von geisteswissenschaftlicher Forschung und Lehre, durch Reflexion und Analyse zur selbstbestimmten Meinungsbildung beizutragen. Das Projekt «Geisteswissenschaft – konkret» nimmt sich der Aufgabe an, solchen Überlegungen den entsprechenden Raum zu bieten.
In Interviews mit Forscherinnen und Forschern der UZH und der FU Berlin werden jeweils in drei Fragestellungen der wissenschaftliche Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Probleme beleuchtet und reflektiert. Die Interviews werden als Videoclips einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Sie sind als Denkanstösse für weitere Diskussionen und Debatten gedacht.
Wir sind zunehmend zugriffsoffen, man kann auf uns zugreifen, sich unsere Substanzen und Organe aneignen. Wie sich das rechtliche Verhältnis zwischen der Person und ihrem Körper gestaltet, ist nicht restlos geklärt. Bin der Körper Ich oder gehört der Körper mir? Und wenn er „mir“ gehört, darf ich dann auch damit tun und lassen, was ich will – auch gegen Geld? Und wenn nein: warum nicht? Diese Fragen sind nicht neu, aber sie stellen sich zunehmend akut.
Die Idee der Menschenwürde gilt heute als anthropologische Grundaussage, auf die sich zahlreiche konkrete ethische, rechtliche und politische Urteilsbildungen beziehen. Doch wann und wie hat sie sich durchsetzen können? Konrad Schmid gibt im Gespräch mit Frank Rühli über nähere, aber auch entferntere Wurzeln dieser Idee in der menschlichen Geistesgeschichte Auskunft. Alles weitere zur Initiative.
Religion als politisch relevanter Forschungsgegenstand? Wahlkämpfe mit religiöser Rückendeckung, lebensgefährliche Schuldzuweisungen an bestimmte religiöse Gruppen im Kontext von Covid-19 und religiöse Gewaltbereitschaft in vermeintlich säkularen Gesellschaften – Religion bietet nicht nur Potenzial für Lebenssinn und ethische Lebenspraxis. Nur fundiertes Wissen und Verstehen religiöser Kontexte ermöglicht Prävention und einen konstruktiven Umgang im Fall religiöser Konflikte. Dorothea Lüddeckens erforscht als Religionswissenschaftlerin ohne religiöse Brille religiöse Sachverhalte in Büchern und Twitternachrichten, vor allem aber hört sie Menschen zu.
Die Rechtsgeschichte seit der Antike zeigt, dass ein Wechselspiel zwischen Krise und Recht besteht, das sich auch in der aktuellen Pandemie-bedingten Krise erkennen lässt.
Einerseits wird das Recht als Instrument der Krisenbewältigung herangezogen, indem zum Beispiel neue Regeln geschaffen werden, um Gefahren aus der Krise zu bannen. Andererseits kann eine Krise auch zu einer Rechtskrise führen, wobei sich die Bedeutung einer politischen, gesellschaftlichen oder sozialen Krise für das Recht meist erst im Rückblick erkennen lässt.
Im Interview weist Rechtshistorikerin Ulrike Babusiaux darauf hin, dass schon Beispiele aus der römischen Antike zeigen, dass eine Krise oftmals nur als Katalysator fungiert. Sie verschärft bestehende Problemlagen und lässt damit die bereits vorher zu beobachtenden Schwächen oder Anfälligkeiten einer rechtlichen Regelung offen zu Tage treten.
Indem die Literaturwissenschaft danach fragt, welche Geschichten bereits in der Vergangenheit erzählt worden sind, bietet sie uns die Möglichkeit, uns in der Gegenwart zu orientieren. Diese Revisitation unseres kulturellen Archivs dient dem Nachdenken über sich selbst, über sein Verhältnis zur Welt und zu anderen Menschen. Wir leben nicht nur durch Geschichten, wir brauchen sie auch: Um unser Begehren, unsere Wünsche und unsere Fantasien zu befriedigen, aber auch um unsere Ängste zu vertreiben. Haben wir zu wenig Einbildungskraft, sind wir für Krisen schlecht vorbereitet – das hat 9/11, die Covid-19 Pandemie und jüngst der Angriff auf das Kapitol in Washington D.C. gezeigt. Man muss sich die Konsequenzen, die ein Ereignis haben könnte, vorstellen können, um adäquat handeln zu können. In diesem Sinne kann Literatur als Simulation verstanden werden und deren Deutung als Möglichkeit, Rückschlüsse auf unsere Gegenwart, unser Leben und Handeln in der Welt zu ziehen. Zugleich zeigt eine Revisitation qua Rückkehr zu unserem kulturellen Archiv nicht nur, dass Anliegen, die uns heute beschäftigen, eine lange Tradition haben, sondern auch, wie damals schon auf diese reagiert wurde. Auf die Wichtigkeit von Geschichten zu insistieren bedeutet aber zugleich, das, was in der Gegenwart passiert, derart zu analysieren, dass gegenwärtige Ereignisse nicht auf simple Formeln reduziert werden, sondern – wie in jedem guten Roman oder Drehbuch – die Komplexität und die Widersprüche hervorgehoben werden. Statt sich mit einfachen Erklärungen abzugeben, gilt es kritisch ins Blickfeld zu rücken, was nicht lösbar ist.
Wie gestalten Jugendliche ihre Textnachrichten und hat dies Auswirkungen auf ihr Schreiben in der Schule? Welche Funktion haben Emojis? Wie verändert sich unser kommunikativer Alltag, wenn wir ständig am Handy sind? Wie viel grammatische Variation gibt es im Deutschen und wo kann man sich auf anschauliche Weise darüber informieren?
Christa Dürscheid gibt im Gespräch mit Beat Glogger Einblicke in ihre Forschungen zur digitalen Kommunikation und zu den vielen Facetten der Gegenwartssprache. Sie zeigt auf, wie dynamisch die deutsche Sprache ist und welchen Beitrag die germanistische Sprachwissenschaft zur Analyse des alltäglichen Sprachgebrauchs leisten kann.
Christa Dürscheid hat eine Professur für deutsche Sprache. Sie ist Trägerin des Konrad-Duden-Preises 2020 (https://www.duden.de/ueber_duden/konr...) und veröffentlicht unter https://twitter.com/VariantenGra regelmässig Tweets zur sprachlichen Variation im Deutschen.
Wozu Literatur und wozu Literaturwissenschaft? Die Literaturwissenschaft hat sich grundlegend gewandelt: Aus der einstigen schöngeistigen Disziplin, die dem bildungsbürgerlichen Lesepublikum die ästhetischen Qualitäten der 'Höhenkammliteratur' erklärte, ist eine Wissenschaft geworden, die sich mit allen Textformen und Textgattungen befasst - von Klassischer Literatur bis zu Rap-Lyrics und populären Serien. Was erzählen sich die Menschen über sich selber in ihren Geschichten, welche Vorstellungen von sich entwickelt eine Gesellschaft in ihren Sprachkonstrukten? Der Mensch lebt seinem Bewusstsein nach zu wesentlichen Teilen nicht in 'harten' Fakten, sondern in seinen sprachlichen Entwürfen und Fiktionen: Diese zu analysieren und in ihren Leitstrukturen zu erhellen ist daher zu einer zentralen gesellschaftlichen Aufgabe der Literaturwissenschaft geworden. Beat Glogger ist Wissenschaftsjournalist, Daniel Müller Nielaba ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft.
Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, übersteigen je länger desto mehr das Alltagswissen von Einzelnen. Deshalb ist man auf Experten-Wissen angewiesen. Allerdings gehen die Meinungen von Expertinnen und Experten häufig auseinander, auch wenn es in manchen Fragen durchaus wissenschaftlichen Konsens gibt. Wie sollen wir mit der Vielfalt von Meinungen umgehen? Was unterscheidet diese Meinungen von willkürlichen Vorlieben? Wo sind die Grenzen des Experten-Wissens? Markus Huppenbauer, Professor für Ethik an der Theologischen Fakultät, lässt uns – wenige Wochen vor seinem allzu frühen Tod – an seinen Versuchen teilhaben, solche Fragen zu beantworten.
Wir leben in einer Zeit massiver Veränderungen und des Umbruchs. Angesichts der damit verbundenen Verunsicherung steigt weltweit das Bedürfnis, Orientierung und Halt in der Geschichte zu finden. Die Antike als «nächstes Fremdes», das uns in mancher Hinsicht nachhaltig geprägt hat, bietet sich als Spiegel und kritischer Referenzpunkt für aktuelle Entwicklungen geradezu an. Das neue ZAZH – Zentrum Altertumswissenschaften Zürich (www.zazh.uzh.ch) will in diesem Sinne dazu beitragen, den Blick für die Problematik und historische Kontingenz unseres Selbstverständnisses zu schärfen und aus der Erschliessung der uns ebenso fremden wie vertrauten Antike heraus die Sensibilität für das «Andere» zu stärken. Der Gräzist Christoph Riedweg im Gespräch mit dem Medizinhistoriker Frank Rühli.
In der zeitgenössischen, wesentlich durch die Ökonomie geprägten Gesellschaft stellt sich immer dringender die Frage, ob ein Menschenleben mit einem Preisschild versehen werden darf. Moderne Formen von Sklaverei behandeln Menschen wie ökonomische Ware. Wieviel darf ein Medikament kosten, mit dem ein Menschenleben gerettet werden kann? Wer die Würde des Menschen für unantastbar hält, kommt dennoch in ein Dilemma: Die begrenzten Ressourcen führen dazu, dass der Schutz des Menschenlebens gegen die dadurch entstehenden enormen Kosten abgewogen werden muss. Markus Huppenbauer, Professor für Ethik an der Theologischen Fakultät, lässt uns – wenige Wochen vor seinem allzu frühen Tod – an seinen Überlegungen teilhaben, mit diesem Dilemma vernünftig und human umzugehen.
Was ist Sprachwissenschaft, und wo ist sie zu verorten innerhalb der verschiedenen universitären Disziplinen? Die Linguistin Elisabeth Stark, Expertin für romanische Sprachen und leitend beteiligt an einer ganzen Reihe interdisziplinärer Forschungsinitiativen, erläutert die Entwicklung der Sprachwissenschaft aus den Philologien bis hin zur modernen empirischen Linguistik mit experimentellen Ansätzen. Sie zeigt die Relevanz wissenschaftlicher Sprachbetrachtung für das Verständnis moderner Kommunikationsprozesse und lädt die genuin hermeneutischen Disziplinen ein, in grösseren Verbünden ihre Themen selbstbewusst zu setzen.